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Lutz Richter

Reihen und Folgen
nach-einander, nicht durch-einander

Züssow 2009 (unveröffentlichtes Manuskript)

Leseprobe

Besitzstandswahrung oder Neuanfang? – Nachdem Hab und Gut verpfändet, Haus und Hof belastet wurden, um Unvermeidbares hinauszuschieben, die Verantwortlichen getätschelt und mit goldenen Fallschirmen zum Abspringen bewegt worden sind, soll es nun in alten Schläuchen wieder neuen Wein geben. Das Diakonische Werk löst sich auf. Die Zusammenarbeit zwischen der Pommerschen Evangelischen Kirche und der Theologischen Fakultät beschränkt sich auf äußere Mission. Die Lehrstühle folgen der Praktischen Theologie, die unter Vorgabe von Professionalität Pommersche Kleingläubigkeit besiegen will. Die übrigen Geisteswissenschaften stürzen sich auf die Ergebnisse dieser Schriftgelehrten, um die ostdeutsche Areligiosität zu ergründen. Und ein Bischof, der über die evangelische Kirche in Tansania sagt: „Das Wachstum der evangelischen Kirche in Tansania ist gewaltig. Sogar die Regierung hat kürzlich die Protestanten aufgefordert, in der Mission nicht nachzulassen. Das rührt einfach daher, weil sie merkt, dass in den Regionen, in denen mehr Christen leben, Entwicklung möglich ist, während sie in überwiegend von Naturreligiosität geprägten Gebieten kaum beginnt. So hat die Kirche in Tansania gesellschaftlich weit mehr Anerkennung und Wertschätzung, als wir das hier in unseren Breiten gewohnt sind“ , setzt dem Ganzen die Krone auf. Sicherlich ist das alles allzu menschlich, das ändert jedoch am christlichen Glauben nichts. Sicherlich nicht, aber kann man es jemandem verdenken, wenn er dem nicht direkt als Mitglied beiwohnen möchte? Was sagen Sie? Man braucht ja nicht zu erzählen, was man weiß – Probleme gibt es ja überall? Da haben Sie recht, aber genau in diesem Punkt liegt die Chance und die Notwendigkeit für einen Neuanfang, in dem Ende des Weglassens, des Verschweigens, in der radikalen Beendigung dieser zur Perfektion getriebenen Variante der Lüge – nicht nur in der gottesdienstlichen Verkündigung. Gerade weil die Elle der Nachfolge so hoch hängt, kann die christliche Botschaft nicht durch Mitgliedsausweise bestätigt werden. Im Alten Testament heißt es, wir sollen dem Herrn ein Volk von Heiligen sein, und in der Apostelgeschichte steht nicht nur die Berufung der Sieben, sondern auch die Geschichte von Hananias und Saphira. Für den Anfang würde es vielleicht reichen, wenn sich die Verantwortlichen in der Pommerschen Evangelischen Kirche entschieden, ob sie es sich mit den neuen Mitgliedern aus dem „naturreligiösen Milieu“ in Vorpommern in Hinblick auf die Anerkennung und Wertschätzung in der Gesellschaft wirklich verderben wollen.


Lutz Richter

In Asymmetrie zur Schöpfung
Von der Notwendigkeit und der Möglichkeit, sich von der Natur begrenzen zu lasssen
Ein Essay

Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Texte © 2022 Copyright by Lutz Richter

Lektorat und Layout: Ursula Enderle – ursula.enderle@wege-zum-text.de


Materie will Bewusstsein. – Die Frage nach Sein oder Nichtsein erweckt den Anschein, als hätte der Mensch im Universum etwas zu sagen. Der Blick in die Sterne und ins Atom verrät uns aber eher unsere Bedeutungslosigkeit. Kein Wunder, dass wir im Angesicht dieser Proportionen zweifeln, was zu tun ist. Eingreifen, verändern, gehorchen, rebellieren oder krank werden und andere krank machen? Das Leben selbst aber drängt uns zu einem Tun, dessen Notwendigkeit sich aus einem Zusammenhang speist, den wir geflissentlich übersehen. Wir meinen es besser zu wissen, indem wir freie Akteure sein wollen, die sich das gute Leben als Triebkraft des Fortschritts und als Begründung für das Wirtschaftswachstum vorstellen. Das ist der letzte große Irrtum vor dem Fall oder der Umkehr zu einem Neuen Menschen. Die Materie kennt keine Zweifel. Sie wird sich mit uns oder einer anderen Intelligenz dazu äußern. Im Moment sieht es allerdings so aus, dass wir als Träger der Wahrheit nicht in Frage kommen. Wir sind schlechterdings aus der Schöpfung gefallen und werden so lange ausgeschlossen bleiben, wie wir nicht bereit sind, die Spielregeln des Mikrokosmos zu befolgen. – Materie will durch uns bewusst sein.


Eine systematische Abhandlung zur natürlichen Beschränktheit des Menschen kann und will der Autor nicht leisten. Mit diesem Essay, gespickt mit fröhlichen und polemischen Bekenntnissen zu seiner eigenen Begrenztheit, möchte er daher die in Philosophie und Theologie gepflegten Leitbilder hinterfragen, die sich als wertlos erweisen, wenn nicht auch diese Wissenschaften in ihrem besonderen Denken endlich unter Beweis stellen, Mägde der Naturwissenschaften zu sein. Der gegenwärtig wieder populäre Diskurs, an das Handeln nur noch den Maßstab der Moral anzulegen, macht uns auf verschiedenen Wegen krank. Diese grundlegende Kritik des Autors richtet sich auch auf die politischen Üblichkeiten, und er versucht, dem Leser dagegen die Leichtigkeit der Möglichkeit zu offerieren, sich von der Natur begrenzen zu lassen.



Leseprobe

PROLEGOMENA

Bei näherem Hinsehen werden wir gewahr, dass die Schlussfolgerungen,

die wir aus den Ergebnissen unserer Handlungen ziehen, immer knapper

ausfallen. Als hätten wir keine Zeit zum Denken.

Dabei ist das Denken wahrscheinlich die größte Errungenschaft der

Evolution. Nur werden wir diesem entscheidenden Schritt vorwärts nicht

gerecht. Aber Vorsicht, ihr Altgewordenen, bevor ihr die vergangenen

Zeiten tätschelt: das war noch nie anders. Wenn es unangenehm wurde

mit der Einschätzung der Situation, wurde es leise bis still. Schneller ist

die Entwicklung nur geworden, weil unser Denken eine Dominanz

gegenüber dem Rest allen Seins erreicht hat, die durch Gesprächskreise,

Verbände und Seelsorger – um nur die Unwichtigsten zu nennen – nicht

mehr relativiert und weggeredet werden kann.

Ich werde versuchen, meiner Gewissheit, dass jeder Mensch, der über

ein gesundes zentrales Nervensystem verfügt, eigentlich wissen kann,

was er zu tun hat, durch stolpernde, unvollständige, verbale Zeichen

Ausdruck zu verleihen. Immer mit dem scheußlichen Gefühl, dass man

viele Worte nicht mehr benutzen kann, weil sie schon mit Inhalten besetzt

sind, die längst hätten gelöscht werden müssen.

Die Materie in ihrer Komplexität von den kleinsten Teilchen bis zum

universellen Zeitgeschehen kommt in uns zusammen, um uns teilhaben

zu lassen an einem Zusammenhang, den wir zwar nicht verstehen, der

aber offensichtlich notwendig ist, um in Sachen Evolution

voranzukommen.

Es ist so viel materielle Kompetenz in unserem Denkvermögen,

dass wir einer künstlichen Intelligenz bedürfen, die uns in die Lage

versetzt, den Prozess der Entscheidungsfindung übersichtlicher zu

gestalten.

Seitdem ich mir gewiss bin, dass Gedanken und Gegenstände aus den

gleichen Befindlichkeiten bestehen, ist mir wohler. Nichts fängt hier an

und hört dort auf. Es passt uns zwar gar nicht, dass ein Teilchen einmal

dort ist und dann wieder doch nicht, dass Töne, Farben und Gerüche uns

streifen, die wir gar nicht wahrnehmen, und dass Teilchen durch uns

hindurchfliegen, ohne Bescheid zu sagen. Es ist durchaus verständlich,

dass der Eindruck entsteht, wir seien nur Statisten in einer galaktischen

Seifenoper – Aneinanderreihungen, die bekanntlich nie zum Ende

kommen– und nur wegen der Sterblichkeit der Schauspieler immer wieder

neue Menschen brauchen.

Es wird Ihnen im folgenden Essay zwischen den Zeilen ein Geist begegnen,

der Sie einlädt, sich fallen zu lassen in einen Zusammenhang,

der unsere Asymmetrie in der Verwendung der Gesetzmäßigkeiten im

Mikrokosmos zu heilen versucht. Obwohl unsere Gedanken alle

Voraussetzungen haben, in geordneter Form und in einer eleganten

Folgerichtigkeit zu entstehen, gleicht unser Tun nach wie vor einem

Tohuwabohu.

Seit Einstein wurde offenbar, was immer gilt: Die Natur behandelt uns

als Beobachter alle gleich – symmetrisch. Aber umgekehrt kommt nicht

jeder von uns automatisch zu gleichen Beobachtungen. Die

Umstandsbestimmungen oder Umwelteigenschaften sind je nach Standort

ganz unterschiedlich und sorgen für scheinbare Individualität, die wir mit

der Zeit immer lauter und vehementer als die Freiheit des Menschen

bezeichnen.

Das hat aber mit Freiheit gar nichts zu tun. Entscheidungsfindungen gehen

immer mit Orientierungen einher. Übersichtlichkeit entsteht durch

Disziplin in der Beobachtung und in der Auswertung wissenschaftlicher

Fakten, die sich aus aturwissenschaftlichen Quellen und unverfälschter

Geschichte speisen. Wir sind Teil der Wahrheit und damit nicht frei,

sondern verantwortlich.

Wir wissen allerdings nie alles, um ad hoc eine Situation richtig einordnen

zu können. Die Suche nach den Gründen und der Abgleich mit

unserem Handeln kann uns aber die Sicherheit bringen, die wir benötigen,

um den Menschen zu leben, der wir sein sollen. Dieser Weg durch die

objektive Wahrheit ist aus der Sicht der Wirtschaftswachstumslüge

wenig lukrativ und zudem noch gefährlich. Die Aufforderung des

Gefährten an den Suchenden: »Sei lieb!« soll verhindern, dass er zu streng

mit sich und der Welt ins Gericht geht, denn dort muss er alleine hin;

damit ist auch nichts zu verdienen und ob er von dieser Etappe

wiederkommt, ist fraglich.

Das Liebsein gegenüber demokratischen Gepflogenheiten macht uns eben

noch nicht zu Neuen Menschen, zu Übermenschen, zu Überfliegern, zu

Friedensfürsten, sondern eher zu Hinterwäldern. Warum das so ist, werde

ich mit den folgenden Überlegungen nicht klären können. Aber ich kann

nur jedem empfehlen, sich der Gängelei durch die Materie im Allgemeinen

und unserer Gleichbehandlung durch die Natur zu ergeben. Hier liegt

eine unglaubliche, schaurig-schöne Zeit für uns bereit, die man getrost

von früh bis spät aushalten kann, ohne bunte Pillen einwerfen zu müssen.

Der Einzelne kommt zwar nicht zum Ende. Kein Leben reicht aus.

Lebenssattheit ist ein gewaltiges Ziel. In versetzten Kontinuitäten bewegen

sich die Verantwortung und die Folgen des Tuns durch die Generationen.

Hitler, Stalin und Putin sind nicht vom Himmel gefallen, sondern das

Ergebnis des Nicht-zu-Ende-Gedachten der Generationen vor uns.

Und in jedem Moment wird wieder nicht zu Ende gedacht. Wir treiben

Handel mit den Schurken der Welt, multinationale Konzerne sind in den

Regierungspalästen zu Hause und moderne Waffensysteme lassen

pazifistische Überlegungen unwichtig werden. Die privatisierte Welt ist nur

so weit gemeinwohlorientiert, wie es den Eigentümern von Grund und

Boden und all dem Zeug darauf nicht ans Eingemachte geht und die

Zukurzgekommenen mit der Grundversorgung zufrieden sind.

All das sollte vis-à-vis besprochen sein, unter der Anteilnahme und

Kontrolle der materiellen Verbindlichkeiten, die uns von der Natur

zugewiesen sind.

Mit dem Urknall zu Beginn des Universums – da sind sich die Physiker

einig – hätte die gleiche Menge Materie und Antimaterie entstanden sein

müssen, so dass wir eigentlich in einer Welt leben müssten, die je zur

Hälfte aus Materie und Antimaterie besteht. Doch der Kosmos besteht

ausschließlich aus Materie, sagt man und sucht mit ziemlich großem

Aufwand die Antimaterie. Mit Verlaub – sicher sehr spannend, aber leider

nicht mein Thema, da meine Eltern mich in den Schulferien bei meinem

Onkel in der Gaststätte arbeiten ließen, und das hat mich in sehr

speziellen Umstandsbestimmungen verweilen lassen.

Aber jeder Dussel spürt doch am eigenen Leib, dass die Materie die

Oberhand hat und bestimmt, was passiert. Warum leben wir

gegen unseren Meister? Warum sind wir Anti-Materie?


Dass ich nach verschlungenen Lebenswegen das Bedürfnis habe, so etwas

zu schreiben, stimmt mich fröhlich. Glauben Sie nicht, hoffen Sie nicht,

sondern seien Sie gewiss: solange wir noch ein schlechtes Gewissen

haben, ist für die Evolution noch nicht alles verloren. Es wird der Tag

kommen, an dem uns die Gleichgültigkeit der Natur uns gegenüber wie

ein Segen vorkommen wird.


Pressemitteilungen

Pressemitteilung zur Sterbehilfe vom 28.02.2020